Sie begegnen uns fast täglich in den Medien. Insbesondere Boulevard-Medien sowie die unterschiedlichen Online-Medien und Social Media Plattformen sind ein wahrer Fundus für Meldungen über Ereignisse im Tagesgeschäft von Unternehmen, die zumindest einen Hauch von Skandal versprühen. Oftmals berichten sie von außergewöhnlichen, kontrovers wahrgenommenen Geschäftspraktiken, Handlungen oder Äußerungen Unternehmensverantwortlicher.
Ein Hotelier, der die E-Mail einer sogenannten Influencerin veröffentlicht, die für einen kostenlosen Aufenthalt eine wohlwollende Bewertung über ihre Online-Kanäle verspricht, ein Café-Betreiber, der mittels eines Pollers Müttern mit Kinderwagen den Zugang zu seinen Gasträumen versperrt oder verschiedene Hotels und Gaststätten, die demonstrativ Mitgliedern und Anhängern einzelner politischer Parteien den Zutritt verweigern. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie haben es auf Anhieb in die Schlagzeilen geschafft und ziehen eine kontroverse, zum Teil hitzig, vor allen Dingen online geführte Debatte nach sich.
Unklar ist dabei in vielen Fällen, wie die Informationen an die Medien geraten sind. Häufig ist offensichtlich, dass eine breite öffentliche Wahrnehmung, durch Beobachter und Betroffene, schließlich auch die Aufmerksamkeit von Medienvertretern geweckt haben muss. In anderen Fällen dagegen ist zumindest der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass die ursächlich verantwortlich Beteiligten, in den meisten Fällen also die handelnden Unternehmensvertreter, selber direkt oder indirekt an die Medien herangetreten sind und auf sich aufmerksam gemacht haben.
Skandal: Krise oder Chance?
Nach der verbreiteten Theorie der strategischen Unternehmenskommunikation sollten sich Unternehmen für und gegen solche Fälle rüsten. Das Issues– und vor allen Dingen das Krisenmanagement versuchen Mechanismen zu etablieren, die eine potentiell negative Wahrnehmung des eigenen Unternehmens schon im Vorfeld verhindern oder zeitnah und angemessen auf sie reagieren, um Schaden zu minimieren. Dabei geht es meist vornehmlich darum, die Berichterstattung einzudämmen und den gesamten Verlauf der öffentlichen Wahrnehmung eines Ereignisses abzukürzen.
Einen Skandal bewusst zu provozieren oder sich an dessen Bekanntwerden aktiv zu beteiligen, widerspricht auf den ersten Blick dieser Maßgabe massiv.
Was ist dann also der Grund dafür, dass Unternehmer oder Unternehmensverantwortliche hier scheinbar im Widerspruch zu den eigenen Interessen handeln? Die Antwort scheint einfach nachvollziehbar: Ein solcher vermeintlicher Skandal erzeugt mediale und damit öffentliche Aufmerksamkeit und weckt das allgemeine Interesse am betroffenen Unternehmen und seinem Angebot.
Damit setzt eine solche Strategie präzise das in die Tat um, was sich seit Jahrzehnten in Form der Weisheit „any PR is good PR“ in vielen Köpfen Presseverantwortlicher hält. Ein solcher Aufreger weckt schneller und intensiver das Interesse der Medien, als es klassische, konservative Pressearbeit vermag und bringt ein Unternehmen ins Gespräch. Entsprechend betrachten Verantwortliche ein solches Vorgehen offensichtlich als Chance, um mediale Aufmerksamkeit für eigene Zwecke zu nutzen.
Meines Feindes Feind ist mein Freund
Ein wichtiges Merkmal solcher Schlagzeilen ist, dass sie, wie wir inzwischen festgestellt haben im Zweifelsfall sogar sehr bewusst, polarisieren. Das heißt, durch die Berichterstattung wird der Empfänger gewissermaßen gezwungen, sich zu positionieren. Wer die hinter einer solchen öffentlichkeitswirksamen Handlung erkennbare Haltung teilt, auch wenn diese vielleicht bewusst vorgetäuscht wird, wird sich vermutlich eher mit dem Unternehmen solidarisieren, wodurch ein grundsätzlich positives Unternehmensimage entstehen kann. Im Gegenzug ist kaum zu erwarten, dass ein Unternehmen im Ansehen derer steigt, die sich mit den negativ Betroffenen der skandalösen Ereignisse verbunden fühlen.
Wer ein solches Ereignis also bewusst plant und umsetzt, stellt gewissermaßen eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf: Ist die eigene unternehmerische Zielgruppe weitgehend deckungsgleich mit der Gruppe derer, die mit Verständnis und vielleicht sogar Sympathie reagieren, kann sich eine so angefachte Kontroverse zu Gunsten des Unternehmensimage und damit des messbaren Unternehmenserfolgs auswirken. Dabei profitiert die Pressearbeit potentiell von viralen Faktoren. Gerade solche Aufreger-Themen verbreiten sich über die sozialen Medien mit enormer Geschwindigkeit und Reichweite.
Spiel mit dem Feuer
So kontrovers wie die Themen, die von Kommunikationsverantwortlichen in dieser Form instrumentalisiert werden, so kontrovers lässt sich über diese Methode diskutieren. Tatsache ist, dass es mit etwas Geschick und Feingefühl für Themen nicht schwer ist, Anlässe zu generieren, die in dieser Form öffentliches und damit mediales Interesse wecken.
Damit ein solches Projekt jedoch überhaupt eine Chance auf Erfolg im Sinne von messbarem Unternehmenserfolg hat, bedarf es weit mehr als der Fähigkeit, gezielt zu provozieren.
Um die Öffentlichkeit oder zumindest einen relevanten Teil davon zu spalten und dabei die eigene Zielgruppe möglichst weitgehend für sich zu gewinnen, bedarf es weitreichender Kenntnisse über eben diese Zielgruppe. Andernfalls besteht ein hohes Risiko, genau diese gegen sich aufzubringen, anstatt sie für sich einzunehmen und so das genaue Gegenteil von dem zu erreichen, was man eigentlich erreichen wollte.
Darüber hinaus besteht die deutliche Gefahr, den Bogen zu überspannen. Gerade Kontroversen mit hohem moralischen Streitwert können sich unkalkulierbar entwickeln. Selbst wenn Teile der Zielgruppe insgeheim sympathisieren, zeichnen manche öffentlichkeitswirksame Handlungen doch ein zu extremes Meinungsbild, das erkennbar zu vertreten als unpopulär angesehen wird. Außerdem ist es kaum möglich, seine Zielgruppe so detailliert zu analysieren, dass präzise vorausgesagt werden kann, welche Faktoren im Einzelfall Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen können.
Fazit
Skandale und Skandälchen haben hohes Aufmerksamkeitspotential. Auch wenn sich nicht alle Medienformate in gleichem Maße für solche Ereignisse interessieren, können viele Unternehmen grundsätzlich von einer Berichterstattung in Publikums- und Online-Medien profitieren. Ob die Form von Aufmerksamkeit, die mit der bewussten Instrumentalisierung von kontrovers wahrgenommenen Handlungen und Ereignissen erzielt wird, nützlich oder eher schädlich ist, ist dabei strittig. Es steht auf jeden Fall fest, dass hierbei ein unverhältnismäßiges Risiko besteht.
Einen Anlass zu generieren und mit allen Eventualitäten der darauffolgenden Reaktionen zu planen, ist mit enormem Aufwand verbunden und selbst dann nicht immer zuverlässig möglich. Oftmals ergeben sich Möglichkeiten für diese Form der Außendarstellung jedoch aus ungeplanten Ereignissen, die entsprechend zeitnah genutzt werden müssen, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Ohne den erforderlichen Vorlauf steigt jedoch das Risiko zusätzlich.
Im Ergebnis lässt sich also feststellen, dass diese Form der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zwar einen gewissen Reiz hat, aber insgesamt nicht als Standbein einer verlässlichen und angemessen planbaren Kommunikationsstrategie geeignet ist.